Red Lobster: Diese Insolvenz ist eine Warnung auch für Deutschland (2024)

Eine Kolumne von Heike Buchter, New York

Die Seafood-Kette Red Lobster war eine erstklassige Marke in den USA. Ihre Pleite ist ein Lehrstück darüber, wie Finanzfirmen ein Unternehmen aushöhlen können.

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Das Red Lobsteram Times Square: Draußen schieben sich Touristen an pulsierendenReklamebildschirmen, fliegenden Händlern und Straßenkünstlern vorbei, drinnenhängen zwei Männer an der Bar ab, ein paar Tische sind von Familien besetzt.Über einen TV-Bildschirm flimmern unbeachtet Sportnachrichten. Die Filiale imHerzen der city that never sleepsgilt als das Aushängeschild der Seafood-Restaurantkette, ein Besuch ist für vieleAmerikaner Teil der New-York-Experience. Vielleicht ist es einfach nurZufall, dass dort am späten Donnerstag vergangener Woche eine Stimmung wie imWartesaal eines Bahnhofs herrschte. Vielleicht hat es aber damit zu tun, dassdas 1968 gegründete Unternehmen gerade Insolvenz anmelden musste.

Red Lobster ist nichtirgendeine Gastrokette, es ist eine Institution. Begonnen hat alles mit BillDarden, einem geschäftstüchtigen Jungunternehmer aus Georgia, der sein erstesRestaurant mit 19 Jahren gründete. Entgegen den damaligen Gesetzen in denSüdstaaten weigerte er sich, die Rassentrennung in seinen Lokalendurchzusetzen. Während McDonald's und Kentucky Fried Chicken auf schnelleMassenabfertigung setzten, war Dardens Idee, exklusivere Gastronomie zubezahlbaren Preisen anzubieten. Mit Spezialitäten wie Popcorn Shrimp undLobster Lover's Duo, ein Gericht, das Hummerschwänze aus Pazifik und Atlantikkombiniert, und vor allem den Cheddar Bay Biscuits wurden die rund 700Restaurants der Kette zum beliebten Ort für Geburtstagsfeiern undAbschlusspartys.

Ende einer Erfolgsgeschichte

War Red Lobster einst eine amerikanische Erfolgsgeschichte, istdie Pleite ein Lehrstück, wie monopolistische Strukturen und findigeFinanzfirmen ein Unternehmen aushöhlen – zum Nachteil von Kunden, Mitarbeiternund der Allgemeinheit. Und es ist eine Warnung, denn die Methoden, die RedLobster zum Verhängnis wurden, greifen immer mehr um sich, auch in Deutschland.

Als die Nachricht von der Insolvenz bekannt wurde, fandenAktienanalysten und Wirtschaftsmedien schnell den Grund: Endless Shrimp. So hieß ein Angebot, bei dem Gäste 20 Dollarzahlten (später mehr) und dann so viele Shrimps essen konnten, wie sie wollten.Die Aktion lockte tatsächlich mehr Kunden an, doch es war ein teuresDraufzahlgeschäft. Auch, weil auf TikTok Videos von Wettessen gepostet wurden.

Allein im letzten Quartal 2023 betrug der Verlust durch dieShrimps rund elf Millionen Dollar. Aber schnell stellte sich heraus, dass mehrdahintersteckt. Mit 49 Prozent ist der wichtigste Einzeleigentümer von Red Lobster die Thai Union Group, einer dergrößten globalen Fischereikonzerne. Er gehört dem milliardenschweren Clan vonCEO Thiraphong Chansiri, dessen Vater und Onkel das Unternehmen in den Siebzigerjahren alsThunfischkonservenfabrik gegründet haben.

Fast so lange ist Thai Union ein wichtiger Zulieferer von RedLobster. 2016 kaufte Thai Union erst eine Beteiligung an der US-Kette, 2020 stockte man auf. Dann kam die Pandemie, die Red Lobster wie die ganze Gastronomie schwertraf. Anfang 2023 ließ Thiraphong Chansiri durchblicken, dass er den Ausstieg plane. Stattdessen folgte: EndlessShrimp, ein Verlustgeschäft für Red Lobster, abernicht für die Eigentümer von Thai Union. Das wirft zumindest die Frage nacheinem Interessenkonflikt auf, wie auch der Interimschef von Red Lobster imKonkursantrag vergangene Woche anmerkte.

Übernahme, Pandemie und Inflation

Vielleicht hätte Red Lobster die Shrimp-Aktion, die Pandemie unddie anschließende Inflation besser verkraftet, wenn die Lage des Unternehmensnicht bereits finanziell angespannt gewesen wäre. Das wiederum liegt nicht anThai Union, sondern an einer Finanzfirma namens Golden Gate Capital, eine Private-Equity-Firma. Sie hat Red Lobster 2014 für 2,1 Milliarden Dollarübernommen.

So funktioniert die Geldmaschine von Private Equity: Zunächstsammeln die Investmentfirmen bei Anlegern Geld ein, in der Regel sind dasPensionsfonds, Stiftungen, Staatsfonds oder sehr wohlhabende Privatiers. Fürdas Privileg, solch smarten Playern ihr Kapital anvertrauen zu dürfen, zahlendiese Kunden saftige Gebühren und überdies 20 Prozent der Gewinne. Dann machensich die Private-Equity-Firmenjäger auf die Suche nach Übernahmeobjekten.Werden sie fündig, nehmen sie einen Teil des von den Anlegern eingesammeltenKapitals als Anzahlung – ähnlich wie bei einem Hauskauf. Auch der große Restkommt nicht aus ihren eigenen Kassen. Den holen sich die Firmenjägerstattdessen auf Pump.

Ein Unternehmen als Geldautomat

Das Schöne für die Firmenjäger: Für die Tilgung und dieZinszahlungen ist das übernommene Unternehmen verantwortlich, nicht die Private-Equity-Firma. Damit nicht genug, nehmen Private-Equity-Firmen oft weitereSchulden auf das Unternehmen auf, die sie sich dann als Gewinne auszahlenlassen. In anderen Worten, sie nutzen die übernommenen Unternehmen wieGeldautomaten. Im Fall von Red Lobster griff Golden Gate Capital allerdings zueinem weiteren beliebten Kniff der Branche. Kurz nach der Übernahme verkaufteGolden Gate die Immobilien von Red Lobster für 1,5 Milliarden Dollar an eineweitere Anlagegesellschaft – und holte damit einen großen Teil des Kaufpreiseswieder herein.

Für Red Lobster bedeutete es jedoch, dass die Kette nun Mietefür die Restaurants und andere Gebäude zahlen musste, die ihr zuvor gehört hatten.So musste Red Lobster nicht nur die Schulden aus der Übernahme bedienen,sondern auch noch die Mieten stemmen – in einem Geschäft, in dem die Margenimmer dünner geworden waren. Es blieb nicht viel Polster, um Krisen zuüberstehen. Oder wettessende Gäste.

Jetzt könnte man sagen: Bedauerlich für die Mitarbeiter, von denenbereits Hunderte ihren Job verloren haben, aber muss man in Zeiten vonKlimawandel und Überfischung traurig sein über die Insolvenz einer Seafood-Gastronomie? Wenn Red Lobster die Ausnahme wäre, dann wäre das ein Argument.Doch die Kette ist nur ein Beispiel von vielen. Allein zwei weitere Objekte,die ebenfalls von Golden Gate übernommen wurden, der Schuhhändler Payless undCalifornia Pizza Kitchen, rutschten später ebenfalls in dieZahlungsunfähigkeit. In ihrem viel zitierten Buch Private Equity at Workzeigen die Ökonominnen Rosemary Batt und EileenAppelbaum, dassUnternehmen im Private-Equity-Besitz öfter in die Insolvenz rutschen alsbörsennotierte Unternehmen.

Im Visier sind Pflegeheime und Arztpraxen

Die Private-Equity-Firmen haben längst nicht nurRestaurantbetreiber oder Einzelhändler im Visier und sind auch nicht auf die USAbeschränkt. In Deutschland etwa haben sie vor allem das Gesundheitssystementdeckt: Pflegeheime, Zahnarztpraxen, Fachärzte wie etwa Radiologen. In einerStudie für das Institut für Arbeit und Technologie, die sich mit dem Trendbeschäftigte, heißt es: "Der durch den Bedeutungsgewinn von Private Equity-Gesellschafteninduzierte Wandel von Eigentumsstrukturen ist auch vor dem Hintergrund zusehen, dass die Leistungen im Gesundheits- und Pflegesektor in erheblichemUmfang über Sozialversicherungsbeiträge sowie über Sozialhilfeleistungenfinanziert werden."

Im Klartext, den Private-Equity-Firmen gefällt dieTatsache, dass ihre Einnahmen vom Markt unabhängig sind. Eine Art EndlessShrimp der Gesundheitsleistungen, nur eben für diePrivate-Equity-Firmen. Das Schicksal von Red Lobster könnte vielleicht baldschon Kliniken und Pflegeheime in Deutschland ereilen.

Korrekturhinweis 28.5.24: Wir haben den Eigentümeranteil der Thai Group und Angaben zur Firmengruppe präzisiert. Die Thai Group teilt zudem Folgendes mit: "Thai Union beliefert Red Lobster seit über 30 Jahren, und wir haben vor, diese Geschäftsbeziehung fortzusetzen. Wir sind zuversichtlich, dass ein gerichtlich begleitetes Verfahren Red Lobster in die Lage bringt, ihre finanziellen Verpflichtungen umzustrukturieren und ihr langfristiges Potenzial in einem positiveren Umfeld umzusetzen. Wir nehmen die unbegründeten Behauptungen in den Unterlagen des Konkursgerichts zur Kenntnis und freuen uns auf eine umfassende Darstellung des Sachverhalts."

Red Lobster: Diese Insolvenz ist eine Warnung auch für Deutschland (2024)

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